2023 war ein schwieriges Jahr für europäische Einzelhändler, da langsames Wirtschaftswachstum, geopolitische Fragen und der Inflationsdruck ein schwieriges makroökonomisches Klima geschaffen haben. Die Lebenshaltungskostenkrise hat dazu geführt, dass Verbraucher in Bezug auf Konsum und ihr verfügbares Einkommen wählerischer sind. Viele Geringverdiener mussten sich zwischen Heizung und Essen entscheiden. Im Vereinigten Königreich beispielsweise sanken die Einzelhandelsumsätze im Jahresvergleich um 2,7 Prozent, wovon die Bekleidungs- und Haushaltswarengeschäfte am stärksten betroffen waren.[i] Die Gesamtinflation in der Eurozone erreichte im Oktober 2022 einen Höchststand von 10,6 Prozent. Dies veranlasste die Zentralbanken, die Zinssätze zu erhöhen, was die Verbraucherausgaben weiter dämpfte und Investitionen in Einzelhandelsimmobilien verhinderte. Infolgedessen waren Einzelhändler gezwungen, Kostensenkungsmaßnahmen zu ergreifen, um ihre Rentabilität zu verbessern.
Was bringt nun das Jahr 2024 für den europäischen Einzelhandelsmarkt und wie werden die Einzelhändler reagieren?
Die Wiedergeburt physischer Läden
Die wirtschaftlichen Aussichten für die Zeit nach 2024 sehen besser aus, da für Europa ein BIP-Wachstum von 0,9 Prozent im Jahr 2024 und 1,9 Prozent im Jahr 2025 prognostiziert wird. Die Inflation in der Eurozone wird voraussichtlich bis Ende 2024 auf 2,0 Prozent sinken, was zu einem Wachstum der Einzelhandelsumsätze von 0,7 Prozent führen wird, bevor es sich 2025 auf 2,0 Prozent erhöht und damit das Niveau vor der Pandemie übertrifft. Während das Vertrauen in die Wirtschaft wächst, wird sich der Markt für Einzelhandelsimmobilien warmlaufen und zu einem Mietwachstum für erstklassige Einzelhandelsflächen in ganz Europa führen, da sichere, kapitalstarke Einzelhändler Expansionspläne umsetzen und neue Geschäfte in den größten Städten Europas eröffnen können. Da sich der Wettbewerb um qualitativ hochwertige Flächen verschärft, wird erwartet, dass sich der geografische Fokus von Investoren in Einzelhandelsimmobilien ausweitet und neue Gebiete mit erstklassigem Mietwachstum entstehen werden. Die Einzelhändler werden auch verbesserte Storelayouts umsetzen, Läden verkleinern und das Ladenportfolio reduzieren, um Margen zu optimieren.
Zudem setzten auch Einzelhändler zunehmend auf neue Technologien, um ihre Rentabilität unter diesen schwierigen Marktbedingungen zu steigern. KI steht im Mittelpunkt dieses digitalen Investitionsbooms. Sie wird eingesetzt, um das Omnichannel-Erlebnis der Verbraucher zu verbessern, sie über mehrere Plattformen hinweg anzusprechen, mit ihnen in Kontakt zu treten und um die Effizienz der Lieferkette zu steigern.
KI in Geschäften
Die Zeiten, in denen das Einkaufen sauber in Online- und Offline-Erlebnisse unterteilt war, sind vorbei. Eine Studie des IBM Institute for Business Value (IBV) [ii] aus dem Jahr 2022 besagt, dass „die Verbraucher von heute Online- und Offline-Einkäufe nicht mehr als getrennte Erlebnisse betrachten. Sie erwarten, dass alles ständig miteinander verbunden ist". Die Entwicklung von Omnichannel wird durch die zunehmende Komplexität der Customer Journey vorangetrieben, die Online- und Offline-Erlebnisse über mehrere Plattformen und Geräte hinweg miteinander verbindet. Fortschrittliche Algorithmen werden immer besser darin, Einkaufs- und Browsing-Daten in ein personalisiertes und nahtloses Omnichannel-Erlebnis umzuwandeln. Dynamische Preisgestaltung und ausgeklügelte Abonnementmodelle, die auf Echtzeit-Datenanalysen basieren, versprechen ebenfalls eine Revolution bei der Festlegung und Anpassung von Preisen und Rabatten. Außerdem tragen sie dazu bei, die Kunden durch eine persönlichere Ansprache langfristig zu binden.
Die meisten Omnichannel-Einzelhändler bieten inzwischen auch einen kostenlosen „Click-and-Collect"-Service an, bei dem online gekaufte Waren im Geschäft abgeholt werden können. Dadurch wird der Lagerraum des Einzelhändlers zu einem logistischen Ort, an dem Warenbestände für den Store, Online-Bestellungen sowie Retouren gelagert werden. Diese In-Store-Logistikeinheiten werden zunehmend automatisiert, wobei eine Mini-Version der ASRS-Robotiksysteme zum Einsatz kommt, die in den großen Fulfillment-Zentren verwendet werden. Online-Kunden in den Laden zu holen ermöglicht es Einzelhändlern auch sie mit physischen Produktpräsentationen und Werbeaktionen zu begeistern.
Physische Geschäfte werden fortlaufend automatisiert und mit Sensoren, Kameras sowie biometrischen Zugangs- und Zahlungssystemen ausgestattet. Europäische Einzelhändler wie Albert Heijn setzen zunehmend auf automatisierte Läden, um Arbeitskosten zu sparen, Öffnungszeiten zu verlängern und Ladendiebstahl zu minimieren. Letzteres ist besonders wichtig, da die Zahl der Diebstähle in Geschäften und Distributionszentren explodiert ist, was zum Teil auf die Lebenshaltungskostenkrise und die mangelnde Bereitschaft der Polizei zurückzuführen ist, gegen Kleinkriminalität zu ermitteln. In den USA wurden im Jahr 2022 112,1 Milliarden US-Dollar durch Diebstahl im Einzelhandel verloren, und es wird prognostiziert, dass dieser Wert bis 2025 auf über 140 Milliarden US-Dollar ansteigen wird. [iii]
Im Vereinigten Königreich werden sich die Kosten für Diebstähle im Einzelhandel bis 2023 auf 7,9 Milliarden Pfund belaufen, wobei 60 Prozent des Diebstahls (4,7 Milliarden Pfund) auf die „Käufer" zurückzuführen sind, für den Rest (3,2 Milliarden Pfund) [iv] sind die Mitarbeiter in den Verteilzentren, im Vertrieb und den Geschäften verantwortlich. Selbstbedienungskassen haben den Diebstahl erleichtert. 66 Prozent der Einzelhändler gaben an, dass Verluste an Selbstbedienungskassen ein wachsendes Problem darstellen, [v] und berichteten, dass 20 Prozent der Kunden etwas gestohlen haben, während sie Selbstbedienungskassen benutzten. [vi]
Automatisierte Läden, sogenannte „Just-Walk-Out-Stores“, könnten eine Lösung sein. Diese kassenlosen Läden sind nicht nur wegen ihrer Arbeitsersparnis und der Möglichkeit attraktiv, rund um die Uhr geöffnet zu bleiben, sondern auch, weil sie eine persönliche Identifizierung über Zahlungskarten oder biometrische Scans erfordern, um sie zu betreten und zu bezahlen. Dieses reibungslose Einkaufs- und Bezahlsystem wird wahrscheinlich auch von Verbrauchern angenommen werden, da es den Zugang und die Bezahlung beschleunigt und ein zufriedenstellenderes Einkaufserlebnis schafft. So kann sich das Personal auf das Nachfüllen von Artikeln und die Verbesserung des Kundenservices konzentrieren.
KI Online
Unabhängige Stimmen und soziale Kanäle beeinflussen zunehmend das Kaufverhalten der Verbraucher. Diese Veränderung des Kundenverhaltens hat Einzelhändler dazu veranlasst, ihre Kommunikations- und Marketingstrategien zu überdenken. Einzelhändler können Loyalität nicht mehr als selbstverständlich hinnehmen und suchen daher nach innovativen Wegen, um mit einem Publikum in Kontakt zu treten, das immer selektiver wird. Die Verbraucher der Generation Z sind besonders anspruchsvoll und erwarten, dass Marken ein soziales Gewissen haben, mit ihren politischen Ansichten übereinstimmen und ihre Perspektiven widerspiegeln. Jeder Fehltritt kann dazu führen, dass eine Marke in negativer Form „viral" wird, was zu einem Massenboykott und einem abstürzenden Aktienkurs führen kann.
Trotz der Risiken haben Einzelhändler festgestellt, dass Social Media ein wirksames Mittel ist, um sowohl GenZ als auch ältere Verbraucher zu erreichen, indem sich der Content auf das konzentriert, was die Zielgruppen als kulturell relevant betrachten. Während Gen-X und Babyboomer auf Facebook zu finden sind, verbringen Gen-Z-Konsumenten ihre Zeit auf Plattformen wie TikTok und Instagram. Einzelhändler nutzen Algorithmen, um die Aktivitäten in den sozialen Medien mit ihrer Online-Präsenz zu verknüpfen, so dass sie die Aktivitäten der Verbraucher in den sozialen Medien verfolgen und ihnen passende, inspirierende Produktvorschläge machen können. Dies reicht von der Übermittlung von Marken- und Verkaufsbotschaften zum richtigen Zeitpunkt bis hin zum Angebot personalisierter Rabatte und syndizierter Nutzerinhalte. Einzelhändler nutzen Social Media auch, um potenzielle Kooperationen und Partnerschaften mit Influencern zu identifizieren, um deren Follower zu erreichen. Social Shopping, die Verschmelzung von Social Media und E-Commerce, wird daher im Jahr 2024 ein wichtiges Einsatzfeld für den Einzelhandel werden. Dies wird sich weiter verstärken, wenn Twitter sich vollständig in „X - The Everything app" umwandelt und zu einem Einzelhandelskanal sowie einer Zahlungsplattform wird, die der chinesischen Plattform WeChat ähnelt.
KI und Lieferketten
Unabhängig davon, ob der Verbraucher im Geschäft ist oder online shoppt, erwartet er, dass die Waren vorrätig sind und ihn rechtzeitig erreichen, und zwar jedes Mal. Von der Kaufabwicklung bis hin zur Lieferung ist Schnelligkeit ebenso wichtig wie Bequemlichkeit. Diese hohe Liefererwartung übt einen enormen Druck auf die Lieferketten des Einzelhandels aus. Auch hier ist die Technologie gefragt, Lösungen zu finden. Auf der Suche nach Antworten hoffen Einzelhändler, dass KI-gestützte Planungs-, Dispositions- und Entscheidungsintelligenz-Tools Unterstützung bieten können, Prognosen zu verbessern, Betriebskosten zu senken und eine agilere sowie flexiblere Lieferkette zu entwickeln. Obwohl erhebliche Investitionen in Business Intelligence und Datenanalyse getätigt wurden, räumen Führungskräfte des Einzelhandels ein, dass es bisher nicht gelungen ist, Daten in umsetzbare Erkenntnisse zu verwandeln. Das ändert sich jetzt. KI-gestützte Decision-Intelligence-Tools wie Upp und Peak.AI sowie Verbraucherverhaltens-Engines wie Predyktable bieten fortschrittliche Datenanalysefunktionen, welche die Entscheidungsfindung im Einzelhandel künftig von Vermutungen und Unsicherheiten befreien. Phillip Sewell, CEO und Mitbegründer von Predyktable': „In einer Landschaft, die von schnellem Wandel und noch nie dagewesenen Herausforderungen geprägt ist, wird die Fähigkeit, sich anzupassen, zu innovieren und das Potenzial der prädiktiven Intelligenz zu nutzen, der Dreh- und Angelpunkt für Führungskräfte sein, die sich bemühen, den Wandels im Jahr 2024 zu bewältigen… Es besteht auch ein Bedarf an umsetzbaren, zukunftsweisenden Empfehlungen, die profitablere und ethischere Entscheidungen ermöglichen.“ [vii] Wir sollten also davon ausgehen, dass Einzelhändler auch im kommenden Jahr ein immer höheres Maß an digitaler Raffinesse anstreben, wobei sich ein klares Gefälle zwischen denjenigen abzeichnet, die in der Lage sind, diese Tools zu nutzen, um Einblicke und Mehrwert zu liefern, und denen, denen dies nicht gelingt.
Fazit
Alle genannten Faktoren erfordern letztlich eine bessere Nutzung von Daten und Content. Das ist das eigentliche Geheimnis für eine erfolgreiche Transformation des Einzelhandels im Zeitalter der digitalen Technologie und Marktunsicherheit. Die richtigen Grundlagen zu schaffen, die physischen und digitalen Abläufe sowie die damit verbundenen Daten in einer Omnichannel-Plattform zusammenzuführen, die Sinn macht, und gleichzeitig die Supply-Chain-Abläufe zur Unterstützung bereitzustellen, ist entscheidend, um sich auf das nächste Jahr im Einzelhandel vorzubereiten - egal, wie es ausgeht.
[i] Fall in retail sales in Great Britain signals high street recession’; The Guardian, 17 November 2023
[ii] Consumers Want it All; IBM Institute for Business Value. January 2022
https://www.ibm.com/thought-leadership/institute-business-value/report/2022-consumer-study
[iii] Capital One Shopping, Retail Theft (Shoplifting) Statistics, October 2023. https://capitaloneshopping.com/research/shoplifting-statistics
[iv] City snapshot: UK retail theft to cost £7.9bn in 2023; The Grocer. 13 November 2023 https://www.thegrocer.co.uk/finance/city-snapshot-uk-retail-theft-to-cost-79bn-in-2023/685283.article
[v] ECR Retail Loss, Global Study on Self-checkout in Retail, 2022. https://www.ecrloss.com/research/global-study-on-self-checkout-in-retail/
[vi] New York Post, Walmart’s bid to cut shoplifting at self-checkout counters leads to surge in ‘hostile’ encounters with customers’, October 2023.
[vii] UK retail challenges for 2024: Predyktable reveals nine pivotal challenges and strategic priorities for 2024. Retail Times, 20 November 2023 https://retailtimes.co.uk/uk-retail-challenges-for-2024-predyktable-reveals-nine-pivotal-challenges-and-strategic-priorities-for-2024/